weniger erregt. Diese langen Wehen ängstigten ihn, und er fragte uns, ob für Mutter und Kind schlimme Folgen daraus zu gewärtigen seien. Der Hoffnung auf einen Sohn getraute er sich nicht hinzugeben. Man sah ihm an, das er im andern Falle sich berets ins Unvermeidliche zu schicken bemüht war; er erkundigte sich gleichwohl eingehend, ob es etwa Anzeichen gebe, die das Geschlecht eines Kindes schon vor der Geburt zu bestimmen gestatteten und verriet uns durch solche Fragen seine große Erregtheit. Ich war so müde, das ich gegen vier Uhr morgens das mir zur Verfügung gestellte Zimmer einer der Empfangsdamen annahm. Ich warf mich angekleidet auf ihr Bett und bat, mich zu rufen, wenn sie die Kaiserin schreien hören sollte. Während ich schlief, hatten sich aber die Wehen gemindert. Man meinte, die Entbindung were nicht so bald vor sich gehen und forderte die Anwesenden auf, sich etwas Ruhe zu gönnen. Gegen sieben Uhr stellten sich die Schmerzen wieder ein. Das Kind lag ungünstig, und der Geburtshelfer verlor beinahe den Kopf darüber, als der Kaiser mit großer Kaltblütigkeit sagte, er möge genau so verfahren, wie wenn es sich um eine Frau der untersten Schichten handelte, under sole vor allem der Mutter das Leben erhalten. Es wurde also eine Zangengeburt vorgenommen. Der Kaiser wich nicht von der Seite seiner Frau. Er hielt sie in seinen Armen, suchte ihr Mut zu machen, war aber durch den Anblick der Wehen selbst so erschüttert, da er den ganzen Tag hindurch eine Art Nervenüberreizung nicht los wurde.
Gegen acht Uhr morgens trat endlich die junge Empfangsdame ganz aufgelöst zu mir ins Zimmer, in dem ich schlief.
Sie sage mir weinend, die Kaiserin stofe fürchterliche Schreie aus. Ich eilte rasch die Treppe hinab und traf dort den Kaiser, der eben aus dem Zimmer seiner Frau getreten war, ganz blass aussah und kaum atmete: „,Es ist vorbei," sagte er, „sie ist gerettet." Er sah dabei so unglücklich aus, das ich ihn ängstlich fragte: „Ein Junge?" -„Ja"', erwiderte er, noch ganz beklommen. Bei diesen Worten wollte ich ihn umarmen, er war aber so bedrückt, daf er mich zurückwies und sagte: „Ich könnte wahrhaftig das Glück darüber jetzt nicht empfinden. Die arme Frau hat so schwer leiden müssen "Und dann verließ er mich, den Befehl zu erteilen, die üblichen 100 Kanonenschüsse abzufeuern. Ich trat ins Zimmer der Kaiserin. Sie lag noch auf ihrem Leidenslager; der Geburtshelfer stand daneben. Ich ging dann zur Hebamme, die das Kind auf dem Arm hielt. Es schien stark und gesund zu sein. Hierauf näherte ich mich der Kaiserin, sie zu beglückwünschen. Es waren so viele Menschen im Zimmer, daß ich es lieber verließ. Ich traf unmittelbar darauf den Kaiser wider, der von der großen Sorge für seine Frau, die er eben durchgemacht hatte, noch so bedrückt war, da er, um seiner schmerzlichen Erregung Herr zu werden, eine ganz ernste Miene annahm, statt sich der Freude zu überlassen.
Dies scheinbare Teilnahmslosigkeit bildete einen auffallenden Gegensatz zu der Begeisterung, die auf allen Gesichtern zu lesen war. Man vermifte mit Verwunderung auf seinen Zügen jene stille Heiterkeit, die eine volle Befriedigung der Wünsche zu verleihen pflegt, und dies im Augenblick, wo das Glück ihm alles gewährte. Je unerschöpflicher es ihn beschenkt hatte, desto mehr Erkenntlichkeit erwartete man sich auch seinerseits für diese Gaben. Man urteilte hart und hielt in für gefühllos, während er im Grunde gerade bei dieser Gelegenheit nach meiner Erfahrung die gröfte Gefühligkeit bewiesen hatte. Alle seine aufs Große gerichteten Gedanken, seinen Ehrgeiz und seine ganze Zukunft hatte er vergessen können, um nur mehr der zärtlich besorgte Ehemann zu sein, als er glücklicher Vater wurde; sollte hier das Herz nicht lauter gesprochen haben als alles Übrige? Was mich betrifft, so gestehe ich, das mich die vielen Blicke verwirrten, die sich mit einer gewissen neugierigen Teilnahme auf mich richteten. Die Ergriffenheit des Kaisers war mir nahe gegangen; ich hatte nicht daran gedacht, dass diese Geburt ja meine Kinder vom Thron entfernte. Ich wünschte ihm, was er begehrte, wie ein Kind seinem Vater und Wohltäter. Ich hatte mir überhaupt nie eingebildet, das meine Kinder die Krone Frankreichs tragen würden, wenigstens nie den Ehrgeiz für sie besessen, und hätte es sich um ein Opfer gehandelt, so wäre eben der Tag der Scheidung der Tag des Verzichts gewesen. So nahm ich denn ohne Rückhalt am Glück des Kaisers teil; aber wie wird man doch so linkisch und befangen, wenn man sich überzeugt, das einen die Menschen immer nach sich selbst beurteilen. Sie meinen etwa, man solle traurig sein, merken einem Zeichen der Freude an und halten dies dann für Falschheit. Da sie entweder bemitleiden oder schelten wollen, muss man sich Gewalt antun, ihnen zu gefallen, gute Gefühle verbergen, als handle es sich um schlechte, oder ihrer Verurteilung gewärtig sein, wen man bei der Wahrheit bleibt.
Ich verfuhr unter den Umständen wie unter so vielen andern: Ich lie meine Auffassungen über mein Verhalten entscheiden.
Ich wufte, das sie die richtigen waren, wenn sie nach meinem Urteil keinen Tadel verdienten, und kümmerte mich wenig, ob sie auch in den Augen der andern dafür galten.
Der Kaiser verlieh seinem Sohn den Titel: König von Rom. Er wurde am selben Abend vorläufig getauft. Ich war bei der Feier zugegen; zwei Monate später sollte die Taufe selbst in der Notre-Dame-Kirche stattfinden. Der Kaiser von Österreich und der König von Spanien waren Paten, Madame Laetitia und die Königin von Neapel Patinnen. Der Großherzog von Würzburg vertrat den Kaiser von Österreich, und ich sollte der Königin von Neapel diesen Dienst erweisen. Wie der Oberhofmeister Duroc mir diese Nachricht überbrachte, weigerte ich mich. Ich fand nämlich, daß die Königin von Neapel sich sehr wohl von jemand anderm vertreten lassen könnte und wollte der Feier nicht in der Kirche beiwohnen, in der auch mein Kind beigesetzt warl Meine Weigerung verstimmte den Kaiser, dem ich den Beweggrund meines Widerstrebens nicht mitgeteilt hatte. Er fand es sehr befremdlich, das ich seinen Sohn nicht aus der Taufe heben wolle, meinte, ich hielte es für unter meiner Würde, in Vertretung zu handeln, und es wurden auch im Rat darüber Erörterungen gepflogen. Man vertrat dort die Ansicht, es sei nicht das erstemal, das eine Prinzessin unter solchen Umständen die Stelle einer andern eingenommen habe und da ich mich der Aufgabe nicht entziehen könne; so wurde denn beschlossen, meine Weigerung nicht anzunehmen. Abends, am Tag vor der Tauffeier, begab ich mich zum Kaiser, wie er sich gerade zurückziehen wollte. Ich trat auf ihn zu und bat ihn inständig, er möchte meine Anwesenheit bei der Feier nicht verlangen, wobei ich meinen Gesundheitszustand geltend machte.
Er zog sich aber barsch mit der Erklärung zurück, er habe mich nicht zu demütigen geglaubt, wie er mir die Ehre erwies, seinen Sohn aus der Taufe zu heben. Ich ging nach Hause; das Herz war mir schwer, und ich wußte nicht, wie ich mich zu entscheiden hätte. Seit dem Tod meines Sohns hatte ich die Kraft nicht wieder gefunden, die Notre-Dame-Kirche zu besuchen, wo seine Leiche vorläufig bestattet war. Nun sollte ich also abermals dort erscheinen, inmitten eines glänzenden Hofstaats, mit Diamanten und Blumen geschmückt, im Zeichen der Freude, sollte vielleicht soar über jene lieben und heiligen irdischen Überreste wegschreiten. Dazu konnte ich, ich wußte es, den Mut nicht aufbringen.
„Ich werde meine Empfindungen nicht beherrschen können" sagte ich zu Adele. „Muss ich denn nicht vermeiden, das es in aller Öffentlichkeit zu einem peinlichen Auftritt kommt?" Sie stellte mir die Verstimmung des Kaisers vor Augen, der mich anklagen würde, ohne mich zu verstehen. Endlich entschloss ich mich, um alles Erforderliche getan zu haben, mich sofort in die Notre-Dame-Kirche zu begeben und in der Einsamkeit den Empfindungen zu überlassen, die mich dort befallen mussten; ich wollte mich in die Gewalt bekommen, um meine Gefühle am Tage darauf desto sicherer überwinden zu können. Adele widersetzte sich diesem meinem Vorhaben. Sie fürchtete, ich möchte mich zu stark erregen, und bangte für meine Gesundheit. „Ich were wenigstens mit dir allein sein" erwiderte ich. „Niemand wird meine traurigen Empfindungen stören, und morgen habe ich dan die Kraft, sie zurückzudrängen." Es war Mitternacht.
Ich kam, in einem einfachen Wagen ohne Livree, allein mit Adele an der forte des Domes an. Ich begab mich sodann zum Erzbischöflichen Palais, von wo uns der Pförtner nach einigem Zureden unter das große, durch soviel bedeutsame Erinnerungen Ehrfurcht erweckende Gewölbe führte, ein Denkmal des Kummers für eine Mutter, die es über dem Grab ihres Kindes schweben sieht. Alls war für das Tauffest vorbereitet.
Ganz hinten in der Kirche arbeiteten noch einige Leute. Das schwache Licht, das ihre Lampen verbreiteten, die Hammerschläge, die zuweilen eine Stille unterbrachen, die dem Tode so ähnlich war, zumal für den, der das Tote aufsucht, das alles erfüllte mein Gemüt mit schmerzlichem Grauen. Die Vergangenheit stellte sich wieder ein mit allem, was sie an Grausamem und Bitterem enthielt. Ich war am Ende meiner Kräfte und vermochte mich nicht mehr zu halten. Ich fiel am Fuf des Altars in die Knie und vergof einen Strom von Tränen. Der alte Pförtner, seine Lampe in der Hand, betrachtete mich mit Erstaunen. Er half Adele, mich fortzuschaffen. Am nächsten Tag kehrte ich in großem Festgepränge in die Kirche zurück. Die Geistlichkeit ging uns bis an die große Eingangstür entgegen. Ich stand neben der Kaiserin, der die Ansprache galt, und erinnerte mich, wie wenige Jahre vorher die Leiche mines armen Kindes an der gleichen Stelle in Empfang genommen wurde.
Der Mut wollte mir fast versagen; aber der Kirchenbesuch der vergangenen Nacht hielt ihn mir aufrecht, und niemand bemerkte, welche Gewalt ich mir antun musste.
Die Tauffeierlichkeiten waren überaus großartig. Ich wohnte denen im Rathaus und in Saint-Cloud bei. Schließlich aber war ich nicht mehr imstande, so viele Feste noch länger zu ertragen und begab mich nach den Bädern von Aix-en-Savoie. Der Kaiser hatte meinen Kindern während meiner Abwesenheit den italienischen Pavillon im Park von Saint-Cloud zu bewohnen erlaubt. Seit der Geburt des Königs von Rom hatten sie beständig, wie bisher, zum Frühstück bei ihrem Onkel kommen dürfen. Er empfing sie immer gütig, lief sie neben sich sitzen, obwohl kaum Platz für sie war, da ihm das Gabelfrühstück auf einem Nipptisch serviert zu werden pflegte. Es war das auch die Zeit, wo er die Leute empfing, die nicht bei Hof zugezogen waren: Hervorragende Künstler, seine Baumeister, mit denen er sich über Verschönerungen der Stadt Paris unterhielt, und zuweilen auch den Schauspieler Talma, was zu dem lächerlichen Gerede führte, er habe von ihm Unterricht genommen.
Die Kaiserin Joséphine sehnte sich danach, den König von Rom zu seen. Frau von Montesquiou brachte ihn also eines Tags nach Bagatelle, wohin sich meine Mutter zu diesem Zweck begeben hatte. Sie liebkoste das Kind herzlich, konnte ihren Tränen nicht gebieten, wie sie's küsste und sagte: „Du liebes Kind, vielleicht erfährst du einmal, was du mich gekostet hast.“ Der Kaiser stattete meiner Mutter einen Besuch ab, der der Kaiserin Marie-Louise Verdruss bereitete. Under hatte gemeint, alle Vorkehrungen getroffen zu haben, sie nichts davon erfahren zu lassen. Er wiederholte also den Besuch nicht mehr, aus Besorgnis, sie neuerdings aufzuregen.
Die Bäder von Aix taten mir gut. Mein Bruder besuchte mich dort bei seiner Rückreise nach Italien und forderte mich auf, die Nähe des Ortes auszunutzen, um mit seiner kleinen Familie. Bekanntschaft zu machen. Wir sollten am Lago Maggiore zusammentreffen. Ich wollte mich gegen Ende der Kurzeit auf den Weg machen, wurde aber krank. Am Lago Maggiore erwarteten mich Festbeleuchtungen und Kampfspiele.
Mein Bruder, dem mein Zustand Besorgnis einflößte, fuhr über den Simplon, und ich sah mich genötigt, nach Frankreich zurückzukehren, ohne einen so hübschen Plan durchgeführt zu haben.
Der Kaiser hatte mittlerweile mit der Kaiserin seine Hollandreise unternommen. Sie sahen sich dort die Orte an, wo ich