What could possibly go wrong?
Kenntnis der beiderseitigen Erlebnisse aber unterbleibt, so das das eine dem Glück geweihte Leben auf das andre unglückliche nie hätte wirklich eingehen können.
Die Kaiserin Joséphine begab sich nach Navarra, um während der Hochzeitsfeierlichkeiten der Hauptstadt fern bleiben zu können. Dem Entschluss zufolge, die neue Ehe des Kaisers vor den Augen der Welt durchaus gutzuheißen, mussten mein Bruder und ich der Hochzeit beiwohnen. Wir begaben uns deshalb mit der ganzen kaiserlichen Familie nach Compiègne.
Der Hof bot damals ein ganz eigenartiges Schauspiel und übertraf alle andern Europas durch die Fülle der an einem und demselben Ort versammelten ungewöhnlichen und hervorragenden Frauen. Den Offizieren, die geheiratet und sich ihre Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft geholt hatten, war es weder auf hohe Verbindungen noch auf Geld und Gut angekommen, sondern einzig und allein auf persönliche Vorzüge, und so kam es, das Deutschland wie Italien reichlich beisteuerten, was an Anmut, Geist und Schönheit bei ihnen gewachsen war. Die Prinzessinnen auf den fremden Thronen liefen ihre Eigenliebe tüchtig walten und wussten sich mit allem zu umgeben, was dem Glanz ihrer Erscheinung zugute kommen konnte.
Nie, sollte ich meinen, wird es zu einer ähnlichen Festversammlung kommen können, die in herrlicheres Gesamtbild von Jugend, Pracht, Anmut und Feierfreude zu bieten vermöchte.
Die junge Kaiserin näherte sich berets Compiègne. Der Kaiser erhielt täglich Briefe von ihr, die ihm zu gefallen schienen. Sie wurde unterwegs überall mit dem größten Jubel empfangen, und dieser Siegeszug musste ihrer Eigenliebe nicht wenig schmeicheln.
Meine traurigen Verhältnisse beschäftigten nur mich. Der ganze Hof unterhielt sich über Festveranstaltungen und den Empfang der Kaiserin, die nun bald eintreffen musste. Es gab eine Fülle von Erörterungen unter den Königen und Fürstlichkeiten über das Zeremoniell, das zu beobachten wäre, wenn man der Kaiserin in corpore entgegenfuhr. Niemand war zu frieden zu stellen. Ich musste zuweilen lächeln, wen ich eine
Sache, die mir so belanglos erschien, mit solchem Feuereifer behandeln sah. Ein leidendes Herz versteht es, die Dinge der Eitelkeit richtig zu bewerten. Es war immer noch nichts bestimmt, als der Kaiser selbst völlige Einhelligkeit zuwege brachte, indem er nämlich eines Tags mit dem König von Neapel in einem Wagen abreiste, um die Kaiserin allein zu empfangen. Er traf mit ihr in der Umgebung von Noyon zusammen, ließ seinen Wagen halten, stieg, ohne sie davon in Kenntnis setzen zu lassen, in den ihren ein und küsste sie zärtlich. Die Königin von Neapel begleitete sie zurück. Um sieben Uhr abends verfügten wir uns insgesamt in Hofgala zu unterst an die grosse Freitreppe, um sie feierlich zu begrüßen. Wir umarmten sie, fast one sie richtig gesehen zu haben. Man durchschritt dann den Wandelgang, in dem alle großen Persönlichkeiten der Stadt und des Hofes versammelt waren, und sah sie erst am nächsten Tage wider. Sie bereitete uns einen liebenswürdigen Empfang und machte einen freundlichen und günstigen Eindruck; nur war sie etwas schüchtern. Wir waren alle mit ihr einverstanden.
Man begab sich nach Saint-Cloud, wo am 1. April die Ziviltrauung stattfand. Ein prunkvoller Geleitzug setzte sich nach den Tuilerien in Bewegung. Ich fuhr mit der Königin von Spanien und dem Großherzog von Würzburg. Auf einzelne Beschreibungen will ich verzichten. Die Tageszeitungen haben es sicher nicht daran fehlen lassen.
Das Zeremoniell war unter dem Kaiser stets schön und eindrucksvoll. Den Triumphbogen des Sternplatzes, der bereits begonnen war, hatte man vorläufig in Holz fertiggestellt. Man konnte sich unschwer den großartigen Eindruck vergegenwärtigen, den der durchgeführte Bau bewirken musste. Das Volk schien mir während unsrer Auffahrt sich etwas kühl zu verhalten. Es war ihm wohl nicht nach Wunsch, eine Österreicherin unter sich sehen zu müssen; aber die Pariser Gesellschaft, die sich vollzählig im Louvre versammelt hatte, gab die lebhafteste Begeisterung zu erkennen, die einen wegen früherer liber Erinnerungen, die andern in der Hoffnung auf einen dauernden Frieden oder auch infolge der Gemütsbewegung, die den Menschen beim Anblick des Glanz- und Machtvollen befällt.
Der Kaiser und die Kaiserin ruhten sich, bevor sie sich in die vorläufig hergestellte Kapelle verfügten, zunächst noch auf ihren Zimmern aus. Es wurden die Krönungsmäntel aus der Notre-Dame-Kirche herbeigeschafft, wo man sie seit der Krönung verwahrt hatte. Der Mantel, den meine Mutter getragen hatte, wurde der Kaiserin umgelegt, und wir, nämlich die Königin von Spanien, die Königin von Westfalen, die Großherzogin von Toskana, die Prinzessin Pauline und ich trugen die Schleppe. Die Königin von Neapel, die Vizekönigin und die Prinzessin von Baden schritten mit Kerzen und verschiedenen Insignien voran.
Unsre ersten Offiziere trugen uns die Schleppe. So gingen wir durch den Wandelgang und gelangten an den Raum, wo sich die Kapelle befand. Der Hof und das diplomatische Korps hatten auf Tribünen Platz genommen, die rings errichtet worden waren. Die Feier war von kurzer Dauer. Die Blicke der Anwesenden waren oft auf meinen Bruder und mich gerichtet, ja verweilten bei uns, um sich des Eindrucks zu vergewissern, den der Vorgang auf uns machen musste. Diese Wissbegierde war mir unangenehm, obwohl ich wußte, dass keinerlei Bewegung auf meinem Gesicht zu lesen sein würde. Ich hilt ja meine Mutter in ihrer freundlichen Einsamkeit für glücklicher als inmitten eines solchen Glanzes.
Ich konnte unmöglich Bedauern empfinden, da sie nicht mehr besitzen sollte, woran mir selbst nichts gelegen war.
Mein Mann reiste nach der Hochzeitsfeier ab und lie mir durch Frau von Boubers sagen, er fahre mir voran und zähle auf die Einhaltung meines Versprechens. Ich erfuhr durch diese Dame, seine Schwestern hätten in bei der Abreise veranlassen wollen, seinen Sohn mitzunehmen, der eben zur Stelle war; er habe aber nichts davon wisen wollen und gesagt: „Die Königin hat es mir versprochen und wird mich nicht enttäuschen.“ Für diese Gerechtigkeit war ich ihm Dank schuldig und traf schon alle Vorbereitungen für die Reise, als Frau von Broc, ihren Tränen gebietend, zu mir eilte und sagte: „Was muß ich hören? Sie reisen nach Holland zurück? Sie wollen also Ihren Tod? Ich habe Sie schon so häufig veranlasst, diese schmerzlichen Pflichten zu erfüllen, will Sie aber jetzt von ihnen abwendig machen. Sie dürfen in Ihrer Verzweiflung nicht so weit gehen, sich aufzuopfern.
"Sie hatte meine Mutlosigkeit gefühlt und erkannt, das ich ihr seit einiger Zeit meine Kümmernisse nur deshalb verschwiegen hatte, weil ich die ihren nicht vermehren wollte. „Ich habe es versprochen, liebe Adele;" das war alles was ich ihr zu sagen vermochte, und dann nahmen wir tiefbekümmert Abschied. Herr von Flahaut, der nach dem Krieg lange Zeit in Wien krank gelegen hatte und seit seiner Rückkehr noch immer leidend war, hörte von meinem Entschluß und tat sofort, was in seinen Kräften stand, mich sprechen zu können. Seine Tränen, seine tiefe Ergriffenheit, seine erneuten Beteuerungen unwandelbarer Ergebenheit, kurz alles was er bei diesem Abschied zu erkennen gab, bewiesen mir eine Neigung, in die ich beständig Zweifel zu setzen geneigt war, und dies Gefühl, das mich wider meinen Willen am Leben zu hängen wang, erregte zugleich mein Bedauern, da solcher Lebensmut mich wohl einem sichern Tod überantwortete, indem er mich aus der Heimat entfernte.
Meine Mutter war in Navarra, und es fehlte mir die Kraft, mich von ihr zu verabschieden. Ich schrieb ihr und weiß nicht, ob sie meinem Brief den völligen Verzicht auf mich selbst entnommen hat; jedenfalls war sie besorgt und unglücklich über den von mir gefassten Entschluss. Ich verfügte mich nach Compiègne, wo der Kaiser sich ausschließlich seiner neuen Gemahlin widmete. Die Prinzen und Prinzessinnen gaben sich ihren Spielen, dem Tanzvergnügen, dem Taumel so vieler gehäufter Festesfreuden hin und wetteiferten, wer den prächtigsten Putz, die bedeutendsten Erfolge, den größten Aufwand für sich in Anspruch nehmen dütfe. Der ganze Hof gab sich den Feiern und der Freude hin. Nur ich war traurig und stand meiner Umgebung teilnahmslos gegenüber. Mein Elend vereinsamte mich inmitten dieses festlichen Gepränges; der laute Prunk, der mir meinen Kummer ins Innere zurückdrängte, verdüsterte in noch mehr. Die Schwestern des Kaisers, die mich nun endlich zur Abreise bereit sahen, bemühten sich jetzt mehr als früher um meine Person. Sie hätten mir nicht zu sagen gebraucht, ich sole Mut fassen. Ihre Genugtuung forderte meinen Stolz hinlänglich heraus, mir die Sorge nicht anmerken zu lassen. Hätte mir aber nur eine mit Herzlichkeit die Hand gedrückt, ich wäre zusammengebrochen, und meine Tränen hätten die Qualen meines Herzens verraten.
Es musste vom Kaiser und der Kaiserin Abschied genommen werden, die ich weinend umarmte. Den Kaiser schienen meine Tränen zu rühren. „Weshalb so bald?" fragte er. Ich gab keine Antwort und eilte auf meinen Wagen zu, ohne noch mit jemanden ein weiteres Wort zu wechseln. Mein Sohn und Frau von Boubers warn meine einzigen Begleiter. Ich atmete freier, wie ich Compiègne hinter mir hatte. Ich brauchte mir jetzt keinen Zwang mehr aufzuerlegen, und das war doch ein Gewinn nach all der Beherrschung, die ich mir abgefordert hatte. Die Reise verlief traurig. Eine leidende Seele scheint nur am Überdenken ihrer Kümmernisse Gefallen zu finden. Wie ich die holländische Ehrengarde erblickte, die mich an der Grenze erwartete, musste ich an jene erste Reise denken, wo ich mich für so bedauernswert gehalten hatte; es schien sich nichts geändert zu haben; alles war wie zuvor; ich aber hatte damals noch meinen Sohn. Nun war er gestorben, und wie stand es um mich! Abergläubische Gedanken gesellen sich gern zu den tiefen Eindrücken, die das Unglück hinterläft. Ich glaubte sterben zu müssen, und ein Trauerzug, der mir am Eingang in das erste Dorf begegnete, schien es mir zu bestätigen.
Ich kam nach Utrecht. Niemand erwartete mich. Der König war in Amsterdam. Frau von Boubers brachte mein Söhnchen zu Bett. Meine übrigen Wagen waren noch nicht angekommen.
Ich war drei Stunden ganz allein. Was machte ich mir nicht für schmerzliche Gedanken! Eine einfache Kerze, die der Hausmeister auf den Kamin gestellt und angezündet hatte, war von mir unbemerkt ausgegangen. Ich saß kurze Zeit völlig im Dunkeln und ängstigte mich. Am nächsten Tag kam der König an. Seinen Sohn sah er mit Freuden wieder, mich schien er kaum zu beachten. Ich empfing die Abgeordneten der Stadt; meine Blässe war so auffallend und die mit mir geschehene Veränderung so groß, da ich überall Teilnahme und Mitleid erweckte. Ich kam nach Amsterdam und fand dort alles gegen mich eingenommen. Man hatte mich für eine junge und lebenslustige Frau gehalten, meinte, ich gäbe mich den Freuden hin, die Paris bieten konnte und verschmähte die Genüsse des Landes, das meine Kinder zu regieren berufen waren. Wie man mich aber sah, verwandelte sich diese Voreingenommenheit unverweilt in ausgesprochene Teilnahme. Selbst das Volk rief mit sprechenden Gebärden und in gerührtem Tone: „Koningin unglücklich! Unsre arme Königin. Ich empfing alle Behörden und befahl mich den Gebeten der verschiedenen Geistlichen. Viele legten, indem sie ire Ansprache hielten, eine mir unerklärliche Ergriffenheit an den Tag.
Später fragte ich den Abbé Bertrand nach der Ursache und erhielt die Auskunft, man sei bei meiner Ankunft noch sehr gegen mich eingenommen gewesen, men Anblick aber habe sie umgestimmt, sie hätten sich ihrer Ungerechtigkeit geschämt, und man sage jetzt allgemein, man sei irregeführt worden.
Den französischen Gesandten durfte ich nur ein einziges Mal empfangen und auch dann nur in Gegenwart aller meiner Damen und Beamten. Ich hatte durch Frau von Boubers bei ihm angefragt, ob an dem, was mir Frau von Broc über den Befehl des Königs an Herrn van Maanen, mich in der öffentlichen Meinung herabsetzen zu lassen, etwas Wares sei. Er bestätigte es mir und setzte sogar hinzu, Herr van Maanen sei zu einer entsprechenden schriftlichen Erklärung bereit.